Ernst H. Gombrichs kunsthistorische Methode
„Sind Maler imstande, die Wirklichkeit nachzuahmen, weil sie „mehr sehen“ als unsereiner, oder sehen sie mehr, weil sie die Kunst der Nachahmung erlernt haben?“ (Ernst H. Gombrich)
Der kunsthistorische Teil des Workshops basiert auf der Methode Ernst Hans Josef Gombrichs (1909–2001). Gombrich zählt zu den größten und einflussreichsten Kunsthistorikern überhaupt. In seinen Büchern Die Geschichte der Kunst (Story of Art, London 1950) und Kunst und Illusion, Zur Psychologie der bildlichen Darstellung (Art and Illusion, A Study in the Psychology of Pictorial Representation, London 1960) hat er Psychologie und Kunstgeschichte zusammengeführt.
In seinem Buch Die Geschichte der Kunst hat Gombrich die Entwicklung der bildlichen Darstellung von den Ägyptern, die sich auf das stützten, „was sie wussten“, bis zu den Meisterwerken der Impressionisten, die es verstanden haben, wiederzugeben, „was sie sahen“, nachgezeichnet. Aber so wie wir nicht unsere zwei Gehirnhälften voneinander trennen können, lässt sich auch das „Sehen“ vom „Wissen“ nicht trennen, d. h. alles, was wir für unsere „Gesichtswahrnehmungen“ halten, wird immer wieder davon beeinflusst, was wir wissen.
In seinem Buch Kunst und Illusion gibt Gombrich Antwort auf die Frage: Woher kommt es, dass verschiedene Zeiten und Völker die sichtbare Welt auf so verschiedene Weise dargestellt haben? Er erörtert in der Kunstgeschichte den Unterschied zwischen Bild und Symbol. Diese Termini entsprechen den bildlichen und symbolischen Denkmodi. Gombrich erklärt ihre Bedeutung anhand des Kunstwerks von René Magritte Der Palast der Vorhänge III.
René Magritte, Der Palast der Vorhänge III, 1928–1929, The Museum of Modern Art, New York
Eine Leinwand zeigt nur eine blaue Farbfläche, die andere das Wort „ciel“ (frz. für Himmel). Man könnte sagen, die erste Leinwand ist ein Bild, die zweite ein Symbol. Ein Bild gibt wie auf einer Ansichtskarte einen bestimmten Himmel wieder, ein „individuelles Mitglied“ der Klasse „Himmel“. Ein Symbol strebt nach einer „höheren Wahrheit“. Es fasst die Idee, das Ideal, das Wesen des Himmels.
Die Bedeutung der blauen Farbfläche beruht lediglich auf visueller Wahrnehmung. Die Bedeutung des Worts „ciel“ beruht lediglich auf Konventionen. Wenn wir nicht französisch sprechen, können wir die Bedeutung nur erraten.
In der Kunstgeschichte finden wir nur selten Beispiele von reinen Bildern und reinen Symbolen, weil sich Konventionen und visuelle Wahrnehmung gegenseitig beeinflussen. Die Künstler entwickeln die Fähigkeit, Bilder als Wirklichkeit und Wirklichkeit als Bilder zu sehen. Aus dieser wechselseitigen Wirkung formten sich Schemata, die ständig korrigiert wurden. Aus diesem Wechselspiel „Schema und Korrektur“ entwickelten sich die Stile. Ohne visuelle Wahrnehmung oder ohne Konventionen gibt es kein Schema. Ohne Schema gibt es keinen Stil. Ohne Korrektur gibt es keine Entwicklung.